Herz und Blut - Interior | Design | Lifestyle | Travel Blog

View Original

Zu Besuch bei David Polzin

WERBUNG| Verlinkungen

Mit David verbinden wir eine sehr lange Freundschaft, da wir uns schon seit der Schulzeit kennen. Bereits zu Abizeiten hatte David den Platz an der Kunsthochschule in Berlin Weißensee im Bereich Bildhauerei sicher. Es folgen viele aufregende Jahre mit unterhaltsamen und sehr spannenden Ausstellungen und Begegnungen. David Polzin ist Künstler und das durch und durch. Mit zahlreichen Auslandsaufenthalten u. a. in Israel, Japan, Chile oder seiner Gastdozentenstelle in L.A. im vergangenen Jahr hat David nicht nur die Welt gesehen, sondern auch jederzeit skurrile Dinge und Geschichten im Gepäck. Wir selbst befanden uns zwischenzeitlich in der Mission auf Reisen Kaffeeumrührstäbchen von unseren Auslandstrips mitzubringen, um diese Davids Sammlung zu stiften.

Davids Arbeiten umfassen ein breites Spektrum, von großen räumlichen Installationen, die vor allem das Thema Grenzüberschreitung immer wieder auffasst, bis hin zur Konfiguration und Transformation von Möbeln, mit welchem er sich derzeit theoretisch und vor allem praktisch auseinandersetzt. Davids Zuhause ist der beste Beweis dafür.

David, hast du einmal nachgerechnet, in wie vielen Wohnungen du schon gelebt hast? In deiner Kreuzberger Wohnung wohnst du nun schon länger, was und welche Orte magst du an deinem Kiez und warum hat es dich hierher verschlagen?

Dies ist meine sechste Wohnung, seitdem ich zu Hause raus bin (2003). Seit 2007 wechsele ich immer wieder zwischen Kreuzberg und Neukölln. Neukölln insbesondere, war für mich anfangs ein Stadtteil, in dem ich mich noch hundertprozentig anonym bewegen konnte, ganz einer Großstadt entsprechend. Man hat niemanden getroffen, den man kannte und war ständig umgeben vom fremden Sprachen und allerlei Unbekannten.

Prenzlauer Berg und Mitte wirkten gegenteilig, sozial eher provinziell und zu ‘deutsch’, wobei dieser Gegend auch immer etwas Positives und Vertrautes abzugewinnen war.

In Neukölln/X-Berg kann man sich zwar mittlerweile auch nicht mehr verstecken, es bleibt jedoch immer etwas Fremdes übrig. Ich mag, dass die sozio-kulturelle Geschichte dieses Orts eine schon länger gewachsene ist, die schon vor der 'Wiedervereinigung' begann. Was hier ist, ist aus einer West-Berliner Geschichte erwachsen und hat sich 1990 nicht schlagartig verändert, indem es unter neuer Regie neukonstruiert wurde wie zum Beispiel Prenzlauer Berg. Ich entdecke immer wieder alteingesessene Geschäfte und Strukturen dessen Herkunft ich mir erst erschließen muss. Lieblingsorte entdecke ich dann irgendwie für kurze Zeit immer neu, sie wechseln stetig, so verändern sich auch immer wieder die Routen durch den Kiez.

Beim genaueren Durchschauen deiner Wohnung haben wir festgestellt, dass bis auf das Sofa und ein Stuhl alles selbstgebaut und designt ist. Was macht eine besondere Einrichtung und ein Möbelstück für dich aus? Welche Details sind für dich von Bedeutung?

Es ist fast schon luxuriös die Möglichkeit oder Ruhe zu haben, auf der Basis einer unruhigen Ordnung ein Möbel Stück für Stück entstehen zu lassen.

Die Menge vieler Dinge, die man hat, variiert und wächst ja mit der Zeit, wie zum Beispiel Bücher oder Kleidung. Nach einer Weile, muss man schon alles immer mal wieder überblicken können. Irgendwann wird klar wie groß das Volumen dieser eigenen Dinge ist und dann bleiben wird.

Das Möbel wächst dann anfangs noch aus einem provisorischen Ding, welches beispielsweise aus schnell zusammengeschraubten Brettern besteht, heraus in eine immer fester werdende Form. An einem bestimmten Punkt ist das Optimum seiner Proportionen bezogen auf die eigenen Bedürfnisse klar. Dann kann man noch Details am Möbel hinzufügen, welche sich an die bestimmte Position, Funktion und die eigenen Routen innerhalb der Wohnung anpassen.

Man kann zwar nie genau festlegen wie groß die Menge der eigenen Dinge sein wird, mit so einem angepassten und ab einem gewissen Punkt festgelegten Möbel, kann man die eigenen Mengen aber ganz gut regulieren. Ordnung besteht für mich weniger darin, dass ich ständig aufräume, sondern mehr darin das jedes Ding einen passenden Ort hat.

Ohne das ich je etwas dagegen gehabt hätte, fällt es mir aber mittlerweile schwer der Möbelindustrie neue oder gebrauchte konfektionierte Möbel abzukaufen und sie unverändert zu benutzen. Höchstens mit einer vorsätzlichen Veränderungsabsicht oder wegen einem darin verwendeten Bauteil, welches ich in ein anderes Möbel integrieren möchte.

Wenn ich für mich oder für andere Möbelstücke plane, gucke ich immer genau hin, wo die Position des Möbels sein wird und welche alltägliche Routine des Nutzers es um das Möbel herumgibt. Es geht ja auch darum den üblichen Bewegungsfluss in einer Wohnung mit so einem neuen Objekt nicht zu stören, sondern ihn gegebenenfalls zu verbessern. Gekaufte, massenproduzierte Möbel kommen mir oft wie nichtintegrierbare Fremdkörper vor.

Ich mag Möbel, die möglichst simpel, aber clever konstruiert sind, sodass nichts stört und sich zusätzlich gut nutzbare Zwischenräume ergeben, die auch leicht zu reinigen sind. Oberflächen können strukturiert sein, sollten jedoch möglichst homogen funktionieren oder in gewisser Weise verwand miteinander sein.

Formale Brüche innerhalb eines Möbelstücks können passieren, sie müssen jedoch präzise angewendet sein.

Kunststoffteile verwende ich nur ungern, eigentlich nur wenn das Detail aus technischen Gründen nur aus Kunststoff sein kann.

Du bist Meister der Transformation. Wie bist du u. a. auf die Idee gekommen aus verschiedenen alten Möbeln wie Stühle usw. ein neues Möbelstück zu schaffen? Wie lange dauert es in der Regel ein Möbelstück zu bauen und zu designen?

All diese Ideen entstammen meiner künstlerischen Praxis. In meiner künstlerischen Praxis geht es mir darum zu versuchen die Designgeschichte einer alternativen Nachwendezeit zu konstruieren, indem ich DDR-Design (Möbel und Grafik) weiterentwickle und mit 'westdeutschen' Designelementen, die vorrangig den 80ern und 90ern entstammen, vermische. Zum Beispiel wird aus der glänzenden Oberfläche einer DDR-Schrankwand ein vermeintlich westdeutscher Stuhl, aus den Stangen einer Stehlampe wird ein Fernsehtisch und aus einer Tischplatte wird ein Badezimmerschränkchen. Dabei kann vielleicht ein von einem bestehenden Möbel abgenommener Schnitt auf ein anderes Material übertragen werden oder es wird ein Material auf unübliche Weise umgenutzt. Durch das Umformen von etwas was zuvor als 'normal' galt und deswegen nicht sonderlich beachtet wurde in etwas sehr Spezielles bis hin zu Absurdem, ist es möglich die Wahrnehmung des Betrachters zu erweitern und diese erneut zu hinterfragen. Wirklich gut funktionieren tut das eigentlich nur, wenn das Originalobjekt am Ende des Prozesses so stark verfremdet oder übersetzt wurde das dessen Herkunft zwar kaum noch zu erkennen ist, trotzdem aber ein Bezug zum Originalobjekt noch hergestellt werden kann.

Dieser Transformationsprozess kann mit wenigen Handgriffen abgeschlossen sein oder langes handwerkliches Grübeln mit sich bringen. Im Atelier kann ich Sachen lange unentschieden stehen lassen. ‘Existieren’ tun die Möbel ja erst, wenn ich entscheide sie in einer Ausstellung zu zeigen. 

Vorgänge, die aus dem künstlerischen Prozess heraus ins Leere laufen, finden dann manchmal eine Verwendung im Alltag der Wohnung. Hier bietet sich auf der anderen Seite ein sehr ernstes, weil realeres Versuchsfeld, wo künstlerische Transformationsprozesse nicht mehr vorrangig sind. Möbel müssen funktionieren, standhalten und nicht nur so aussehen als ob. In der Kunst hingegen geht es vorrangig um das entstandene Bild, welches sich dem 'realen', alltäglichen Raum gegenüber autonom verhält und vom Ausstellungskontext 'geschützt' wird. Es gibt eine essentielle Wechselwirkung zwischen beiden Orten, dem Atelier und dem Lebensraum. Es ist gut die Option zu haben das Möbelstück in den einen oder den anderen Raum entlassen zu können.

Obwohl meine Wohnung und auch meine künstlerische Arbeit vielleicht aus vielen verschiedenen Dingen zusammengesetzt ist, geht es mir im Übrigen nicht ums Recyceln. Mehr darum durchs Sammeln Zugang zu bestimmten Materialien, Schnitten und Oberflächen zu bekommen, die der industriellen Massenproduktion entstammen. Das sind dann meistens Dinge, die ich so nicht selbst herstellen oder als Einzelteil kaufen kann, da sie erst durch die massenhafte Vervielfältigung ihre bestimmte Form erhalten. Zudem schlägt sich auf der Straße immer gut nieder, was vor zehn bis dreißig Jahren am häufigsten produziert wurde. Mein Auge trifft dann die Auswahl und ich kann darauf vertrauen, was mein Auge entscheidet, denn es erinnert sich am besten, was zur Zeit meiner Kindheit (also vor und nach der Wende) für Möbel im Umlauf waren. Mein Blick wurde von diesen Eindrücken geprägt.

In deinem Zuhause finden wir viele tolle Anregungen und tolleKonstruktionen wie zum Beispiel dein Küchenregal zum Stecken. Planst du zukünftig besondere Stücke auch in einer Kleinserie zu produzieren und zu verkaufen?

Ja, das tue ich bereits. Bisher sind es kleine und klare Möbelstücke, wie das angesprochene Steck-Küchenregal, das rote Nachtisch-Schränkchen mit Schublade und dann gibt es noch verschiedenste Laptop-Tische fürs Bett oder den Schreibtisch. Immer wieder mache ich Spezialeinbauten, am besten gefallen mir die, die ohne eine einzige Befestigung in der Wand in eine Nische hängen oder stützen. Und ich hoffe bald mal die Gelegenheit zu bekommen zusammen mit einem Label oder einem Designer ein Möbel (am liebsten einen Stuhl) zu gestalten, der dann in kleiner Serie produziert werden kann.

Wenn du einen Zweitwohnsitz wählen könntest, wo wäre der dann und warum?

Als zeitlich begrenzter Zweitwohnsitz...Wuppertal zum Beispiel: speziell, weil so industriell und futuristisch wobei gleichzeitig sozial, aber in keinster Weise speziell oder anstrengend. Andererseits liegt Wuppertal auch in einem Tal und orientiert sich an einem Fluss, außerdem erreicht man schnell andere wichtigen Städte in dieser Region.

Diese Gegend repräsentiert für mich auch in sehr konzentrierter und unterschiedlichster Form das alte Westdeutschland vor der Wiedervereinigung. Denn letztendlich hat sich ja dort nicht so viel geändert, wie in den 'Neuen Bundesländern'. Vieles im Innen- und Außenbereich ist älter als ich anfangs gedacht hätte und nicht immer in perfektem Zustand, sodass es mir insgesamt sehr fremd ist. Die ganzen neuen Bauten und Farben, die damals durch den ‘Aufbau Ost’ in die Stadt (Brandenburg) kamen, ließen einst vermuten, dass ‘drüben’ alles neu und in gutem Zustand ist, überrascht musste ich dann feststellen, dass es 'dort' aber gar nicht so war. Trotzdem gibt es architektonische Parallelen. Zum Beispiel die Einkaufspassagen, die in Wuppertal schon Ende der 80er erbaut wurden, hatten ein eher liebloses Revival in vielen Brandenburgischen Kleinstätten in den 90ern. Denn so wurde vielerorts versucht neue Stadtzentren entstehen zu lassen, indem man dann die neuen westdeutschen Produkte verkaufen konnte. Funktioniert hat das jedoch nicht, was mittlerweile am großen Leerstand in einigen dieser Passagen zu erkennen ist.

Jedenfalls würde ich mich dort gerne mal ein paar Monate einnisten und meine Arbeit nicht im, für meine Themen prädestinierten Schöneweide machen, wo sich mein Atelier befindet. Sondern im sehr gegensätzlichen Wuppertal der Sache mal auf den Grund gehen, mit Zugang zum Ruhrgebiet und zum Bergischen Land.

Eine Beschäftigung mit der deutschen Teilung und dessen Folgen ist schließlich nicht nur eine ost-, sondern auch genauso eine westdeutsche Angelegenheit.

An welchen Projekten arbeitest du derzeit? Stehen demnächst Ausstellungenvon dir an, wenn ja, wo können wir dich und deine Arbeit sehen?

Gerade läuft in der Halle 14 in Leipzig eine Gruppenausstellung in der unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen zur DDR Vergangenheit gezeigt werden (REQIUM FOR A FAILED STATE, noch bis 5. August). Dort zeige ich die Serie "Transgender in Hoyerswerda". Als Duo KLOZIN (Klotzek/Polzin) habe ich mit einem Künstlerkollegen aus Zigarettenstummeln wichtige Szenen aus der der Nachwendezeit in kleinen Dioramen nachgestellt.

Dann arbeite ich für weitere Ausstellungen an meiner umfangreichen Serie von "Möbeln aus der Postimperialen Phase Deutschlands", die ich ungefähr in den nächsten zwei Jahren mit einer Katalogveröffentlichung auf den Punkt bringen will.

An dieser Beschäftigung mit dem alternativen Nachwendedesign arbeite ich nun mittlerweile schon seit 2013, man muss sich einfach Zeit lassen, wenn man sich eine halbwegs authentische Design-Ära ausdenken möchte. Wenn in zu kurzen Abständen zu viele Möbel entstehen, gibt es einen formalen Authentizitätsverlust.

Zu meinem Buch "Marken Zeichen Signete aus der Postimperialen Phase Deutschlands" wird es eine Erweiterung in Posterform geben. Hier werden liegengebliebene Logos und mehr Gastbeiträge einen Platz finden, die zu schade sind unveröffentlicht zu bleiben.

Und letztendlich arbeite ich gerade daran ein Filmprojekt auf die Beine zu stellen. Es soll ein Science-Fiction Film werden, der in der Zukunft einer noch existierenden DDR spielt (ca. 2053). Bevor es dazu aber zum eigentlichen Dreh kommt, muss noch viel vorgearbeitet und recherchiert werden.

Weitere Projekte von David Polzin findet ihr hier.